CD-Kritik Miklós Rózsa Treasury

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Miklós Rózsa Treasury (1949-1968)

Das amerikanische Label FilmScoreMonthly hatte sich bereits seit Jahren Werken des Ungarns Miklós Rózsa angenommen. Seit 2002 wurden vortreffliche Musiken des Komponisten genauso wie eher schwächere Kompositionen veröffentlicht. Diese waren stets mit 3000 Exemplaren großzügig aufgelegt, sodass sie immer noch erhältlich sind (da FSM gerade alle Lagerbestände verkauft, sollte man die Gelegenheit nutzen und seine Sammlung vervollständigen!); gerade frisch gebackene Fans des Golden Age Meisters dürften von dieser Veröffentlichungspolitik profitiert haben. Anfang 2010 erschien dann – mit etwas Verzögerung – ein gigantisches CD-Set, das mit 14 CDs und insgesamt mehr als 18 Stunden Musik bis an den Rand gefüllt ist. Mit dieser Veröffentlichung ist alles aus den Verliesen von MGM geholt, was es an Musik von Rózsa zu finden gab. Darunter sind einige große, bisher unveröffentlichte Musiken wie Quo Vadis? oder Madame Bovary nebst Musiken, die bisher nur illegal erhältlich waren. Ferner gibt es eine Vielzahl von weiteren Scores zu entdecken sowie LP-Recordings von El Cid und King Of Kings. Im Folgenden soll auf die einzelnen Kompositionen genauer eingegangen werden.

Bereits in seinem zweiten Jahr bei MGM wurde Rózsa mit einem großen Historienfilm konfrontiert: Madame Bovary (1949). Das Geschichtsdrama um eine junge Schönheit, die sich ihren Sehnsüchten in dem engen Korsett des Bürgertums in der Belle Epoque Frankreichs nicht hingeben kann und sich schließlich für den Freitod entscheidet, wurde vom Publikum nur mäßig aufgenommen. Positiv bewertet hingegen wurde die Musik des Ungarn. In seinem Schaffen markiert diese Partitur einen entscheidenden Meilenstein, da er fortan mehr und mehr Historienfilme vertonen sollte und sich von dem Noir-Stil der 40er lösen konnte. Das Herzstück der Musik bildet der „Madame Bovary Waltz“, der für die opulente und zentrale Ballszene des Films komponiert wurde. Die ganze Szene wurde erst choreographiert, nachdem Rózsa den Walzer komponiert hatte, alles war also auf die Musik hin perfekt abgestimmt. Der üppige und ausschweifende Walzer fängt die romantisch-überladene Stimmung der damaligen Zeit unter Napoleon III. treffend ein. Er beginnt wie ein klassischer Walzer zu beginnen hat, im ¾ Takt mit der schweren Betonung auf der ersten Zählzeit. Zum Mittelteil hin steigert sich die Musik und klingt dabei schon fast neurotisch, die Musik hat die Walzerstruktur verlassen und geht ihre eigenen Wege, kehrt dann jedoch nach dem entscheidenden Moment der Szene in ihre vorherigen Strukturen zurück. Das Thema selbst ist sehnsuchtsvoll und trotz der zu hörenden joie de vivre schwingt ein dramatischer Unterton mit. Diesen vernimmt man auch schon in den ersten Sekunden des „Main Titles“ bevor hier zum ersten Mal das Hauptthema erklingt, Rózsa gibt dem Hörer also schon zu Beginn des Films eine Vorahnung vom tragischen Ende. Die weiteren Themen des Scores werden oft wunderbar miteinander verwoben um die unterschiedlichen Konstellationen und Affären auch auf musikalischer Ebene zu verdeutlichen („Rodolphe’s Love“ / „Coach“). Die feine und detailreiche Verknüpfung der Themen machen gestalten diese Musik interessant und äußerst facettenreich. Neben dem 65-minütigen kompletten Score bietet die FSM-Box knapp 40 Minuten weitere alternative Cues sowie Source-Musik. Einziges Manko ist die Verwendung von „Music & Effects“ – Titeln um die Musik komplett zu hören. Die Geräusche stören den Fluss der Musik, lassen sich aber auf Wunsch herausprogrammieren, sodass man nur die „Music Only“ – Titel dieser schönen und emotionalen Musik zu hören bekommt.

 

Anti-kommunistische Filme waren in den USA in den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg beliebt. Auch The Red Danube (1949) ist so ein Film, in dem die Russen das pure Böse verkörpern und nur der Westen sowie die Kirche Rettung und Heil verspricht. Rózsas Score passte sich diesem Konzept an und verstärkte den Effekt sogar. Der musikalische Leitgedanke für die Russen ist düster, martialisch und kommt mit einem bedrohlichen Gestus daher. Der marsch-artige Charakter unterstreicht die militärischen Züge des mit Blech orchestrierten Themas. Besonders in den phlegmatischen Variationen wird dies deutlich. Als Gegenpol dazu komponierte Rózsa ein liebliches Liebesthema sowie ein warmes Thema für die Briten, das sich allerdings nichts patriotisch und heroisch entpuppt, sondern vielmehr als väterlich-beschützend. Doch die Musik wartet noch mit einer weiteren Facon intéressante auf: das im Film gesungene Lied „Row, Row, Row Your Boat“ wird vom Komponisten in den „End Credits“ triumphierend präsentiert; bereits vorher griff er auf die lebhafte Melodie zurück und vermochte es, ihr mit simplen Tricks verschiedene Emotionen einzuhauchen. Einen kleinen Teil der Musik musste Rózsa nachträglich neu komponieren. Der Szene, in der die Nonne Auxilia dem Russen Nicobar den Glauben wieder näher bringt, sollte ein religiöserer Anstrich verliehen werden, ergo griff Rózsa auf seichte, hohe Streicher zurück um so die gewünschte Atmosphäre zu erreichen. Die 15 Minuten der Musik, die noch erhalten sind, lassen die Musik recht positiv und abwechslungsreich erscheinen. Selbst die Klangqualität ist für das Alter der Aufnahme erstaunlich gut. The Red Danube ist somit eine echte kleine rote Perle.

 

Spätestens seit Leonard Bernsteins weltberühmtem Musical West Side Story (1957) kann auch jeder Europäer mit diesem Begriff etwas anfangen. East Side, West Side, so der Titel des Film Noir aus dem Jahre 1949. Der Streifen dreht sich um ein Pärchen, das in der reichen West Side lebt. Er lernt jedoch eine Ex-Freundin neu kennen und sie hat ein Auge auf einen Polizisten aus der East Side (mittlere Einkommensklasse) geworfen. Filmisch gab es also genügend Stoff für einen dramatischen und herzzerreißenden Liebesstreifen. Rózsas Musik verhält sich zwar romantisch, sie reflektiert jedoch auch den Pessimismus und die teilweise verbitterte Weltanschauung der Charaktere. Der eher schwerfällige musikalische Charakter entsteht durch tiefe Streicher mit schummrigen Klarinettensoli oder höheren Streicherbögen. Leider sind nur knapp vier Minuten des Scores erhalten geblieben, in denen eine sehr melancholisch-erdrückende Atmosphäre dominiert. Das Hauptthema sowie das Thema für die Ehefrau Jessie sind verhältnismäßig trist gehalten, aber durchaus nett anzuhören. Es ist wirklich schade, dass nicht mehr von der Musik erhalten geblieben ist.

 

Ein unverkennbares Markenzeichen des Ungarns sind seine kräftigen, oftmals episch angelegten, ausladenden Ouvertüren oder Präludien, die gerade im Golden Age des Kinos heiß begehrt waren. Ein akustisch beeindruckender Beginn war schließlich der erste Eindruck, und der ist bekanntlich enorm wichtig. Für den Thriller The Asphalt Jungle (1950) sollte Rózsa jedoch auf Geheiß des Regisseurs John Huston (Moby Dick, Freud) eine ruhige und zugleich spannende musikalische Einleitung komponieren. Da der Film ohnehin nur mit wenig Musik unterlegt wurde (lediglich Vor- und Abspann, ferner ein paar Source-Stücke), war es umso wichtiger, dass sie die richtige Stimmung einfing. Der „Main Title“ beginnt mit einem rhythmischen Motiv, das von einigen harten Trompeteneinwürfen begleitet wird, driftet aber dann in eine ruhige, dunkle und äußerst bedrohliche Atmosphäre ab. Ein Thema für den Protagonisten ist dabei herauszuhören, auf das auch im zweiten und letzten Track „Dix’s Demise“ zurückgegriffen wird. Das propulsive rhythmische Motiv kehrt hier wieder, flankiert von unruhigen tiefen Streichern; es mündet dann in einer ein wenig freundlicher klingenden Klangfarbe und schließt so den Film. Die jazzigen Source-Stücke (zwei davon sind von André Previn komponiert worden) bilden einen starken Kontrast zu Rózsas rauer und bedrohlicher Musik. Die sechs Minuten des Ungarn wurden hier zum ersten Mal auf CD veröffentlicht.

 

1950 wagte MGM etwas ganz Besonderes und zugleich auch Ungewöhnliches: “Instead of the background music, which has been composed by Dr. Miklós Rózsa, being played by a full orchestra, the entire score will be played by Vicente Gómez and his guitar.” Grund dafür war die in Lateinamerika angesiedelte Handlung des Films Crisis. MGM schien diese Idee dann doch spanisch vorzukommen und hat orchestrale Teile des Scores mit in den Film involviert. Die Partitur Rózsas ist – wie El Cid 11 Jahre später – sehr farbenfroh und verspielt. Auch thematische Vorläufer lassen sich in Ansätzen finden. Die Gitarre steht zwar immer noch im Vordergrund der Musik, sie wird jedoch gelegentlich von Trompeten oder Streichern abgelöst. Die Musik als Gesamtes bleibt in ihrer Natur sehr lateinamerikanisch respektive iberisch geprägt und ist ein kleines, aber feines Werk in Rózsas Œuvre. Dennoch wäre es durchaus interessant gewesen, eine Filmmusik zu hören, die nur von einer Gitarre gespielt wird.

 

Während des zweiten Weltkrieges drehte das Studio MGM den Film Mrs. Miniver (1942), der von den Leiden einer englischen Familie in Zeiten der Bombardierung durch die Deutschen erzählte. Der Film, der unter der Regie von William Wyler entstand, gewann damals 6 Oscars. Acht Jahre später wurde dann eine Fortsetzung gedreht, bei der H. C. Potter die Leitung übernahm, die man The Miniver Story nannte. Eigentlich wollte man für den zweiten Film den gleichen Komponisten erneut engagieren, doch Herbert Stothart, der mit dem Zauberer von Oz (1940) einen Oscar gewonnen hatte, war bereits an den Folgen von Krebs gestorben. Als Ersatzkomponist sprang Miklós Rózsa in die Bresche, der schon mit den Arbeiten für Quo Vadis begonnen hatte. Er sollte auf das Themenmaterial Stotharts zurückgreifen, was ihm Arbeit ersparte. Die Aufnahmen der Musik aus London sind alle verloren gegangen, es überlebten nur neun Minuten von alternativen und neu geschriebene Passagen, die in Hollywood aufgenommen worden waren. Ausgehend von diesen Minuten lässt sich jedoch sagen, dass die Musik per se sehr ruhig und melodisch ist, was auf die schönen Themen Stotharts zurückzuführen ist. Dennoch schimmert Rózsas unverkennbarer Personalstil durch die klangschönen, ruhig-emotionalen Passagen.

 

Nach seiner Zusammenarbeit mit Regisseur Richard Brooks an Crisis (1950), kreuzten sich ihre Wege erneut. The Light Touch, das ist quasi so etwas wie Ocean’s Eleven in den Fünfzigern: die Story handelt von Dieben. Die Handlung spielt sich in Italien und im Norden Afrikas ab. Rózsa schuf eine sehr lockere und äußerst leichte Musik. Dabei griff er nicht auf ein gewöhnliches Orchester zurück sondern beschränkte sich auf 4 Mandolinen, 2 Gitarren, Akkordeon, 6 Streicher, 2 Holzbläser, Klavier sowie Perkussion. Aus dieser zugegebenermaßen recht ungewöhnlichen Besetzung resultiert ein sehr südländisch anmutendes Flair. Das Hauptthema ist eins von Rózsas besten: es begeistert mit seiner spielerischen Art und markanten Unbeschwertheit. Die flott-fröhliche Melodie tänzelt sofort in jeden Gehörgang und sie bleibt lange im Ohr gefangen. Sie wird dabei ganz unterschiedlich aufgegriffen: malbedrohlich, mal herzhaft-leicht, mal wieder ironisch-witzig und dann wieder kindlich-verspiel ohne dabei ihren Charme zu verlieren. Rózsa stützt sich sehr auf dieses Hauptthema und verwendet neben diesem nur ein Liebesthema, das sehr schmalzig daherkommt. Dieses Thema ist im Verlauf der rund 40-minütigen Partitur oft zu hören und hier wird ebenfalls ein italienisch-südländischer Einschlag deutlich. Rózsa greift im Cue „Viso Perduto“ auf einen Tenor zurück, wodurch ein gewisser Operncharme erzeugt wird. Für die Szenen, die in Nordafrika spielen, komponierte der gebürtige Ungar jedoch Musik, die stark orientalisch geprägt ist. Hier kommt besonders die Flöte – neben Trommeln – zur Geltung. Die Musik ist alles in allem sehr ausgeglichen und glänzt gerade wegen des so fabulösen Hauptthemas goldig-ró(z)sig.

 

Der Ritterfilm Ivanhoe (1952) wurde von Miklós Rózsa fabulös vertont: der Ungar steckte den Streifen ein rau-mittelalterliches Klanggewand mit epischer Schlachtmusik und romantischen Liebesthemen. Die Originalaufnahmen wurden bereits von Rhino veröffentlicht, wenn auch nicht komplett. FSM hat nun die restlichen Tracks, darunter eine Menge Fanfaren und eine alternative „Prelude“, ausgegraben und somit den Score komplettiert. Erwähnung sollte an dieser Stelle die Neueinspielung unter Bruce Broughton finden, die hervorragend gelungen ist; und da die limitierte Rhino-CD mittlerweile eine Rarität geworden ist, kann man das Re-Recording jedem wärmstens empfehlen.

 

The Story Of Three Loves ist eine Art Episodenfilm aus dem Jahre 1953. Der Streifen aus dem Hause MGM erzählt – wie der Titel schon impliziert – drei verschiedene Liebesgeschichten, die in Rom, London und (welche Überraschung) in Paris angesiedelt sind. Der erste Teil hieß „The Jealous Lover“ und handelt von einer Balletttänzerin. Miklós Rózsa sollte damals innerhalb von einer Woche ein kurzes Ballett schreiben. Dieses Angebot nahm er aber nicht an, er präsentierte anstelle dessen ein Ballett von Sergei Rachmaninow, „Rhapsody on a Theme of Paganin“. Diese 24 Variationen über ein Thema des Violinisten Niccolò Paganini wurden 1934 uraufgeführt und bilden das musikalische Grundgerüst für die erste Liebeshandlung. Der Charakter dieser Variationen ist sehr leichtfüßig-tänzerisch und versprüht mit den wilden Klavierparts einen furiosen Charme. Rózsa stellt das Thema dieser Episode im „Main Title“ zum ersten Mal vor, auf das er später zurückgreifen wird. Gerade im Cue „Ballet“ zeigt er, wie gekonnt und geschickt er ganze 6 der 24 Variationen miteinander verknüpfen kann. Doch Rózsa griff nicht nur auf Rachmaninows Musik zurück, er baute auch das mittelalterliche „Dies Irae“ mit in die Musik ein („The Audition - Conclusion / Opening Night“). Die zweite Episode, nun in Rom angesiedelt, nennt sich „Mademoiselle“. Die recht simpel gestrickte Handlung dreht sich um ein Kindermädchen, das sich in den 11-jährigen Jungen verliebt, auf den sie aufpassen soll. Rózsa hat für diese Episode ganze vier Themen komponiert: ersteres ist für die ewige Stadt selbst und es ist mit ausladenden Streichern und einem warmen Gestus bestückt („Eternal City“ / „Romance / Midnight“). Das zweite Thema ist für das Kindermädchen höchst selbst und es agiert zugleich als Liebesthema. Ergo ist es in rózsaesquer Manier eine süßliche Melodie, meist von der zerbrechlichen Solo-Violine gespielt. Dagegen ist der melodische Leitgedanke für den Jungen eher kräftig und spielerisch. Da die beiden zu Beginn nicht richtig zueinander finden, prallen die Themen aufeinander, ohne sich miteinander zu verbinden („Eternal City“). Das vierte Thema ist für die böse Hexe und es ist sehr dissonant und nicht wirklich eingängig. Zudem arbeitet der Ungar mit impressionistischen Klangbildern, sei es nun das Ticken einer Uhr („Phony Witch / Miracle“) oder das Wegfliegens eines Schwarms Vögel („Witch“). Die zweite Episode ist sehr romantisch-schwelgerisch gehalten, zugleich bestehen krasse musikalische Kontraste zu den düster-dissonanten Passagen. Die dritte Episode findet nun in Paris statt. Ein junger Mann, Pierre, rettet eine Frau davor, in den Fluss zu springen. Selbstverständlich kommen sich die beien näher... Rózsas Musik eröffnet die Episode sehr originell mit einem sehr lebhaften Stück für Kammerorchesterbesetzung. Es ruft sofort Assoziationen zum französischen Lebensstil hervor (Freude, Wein, Liberté). Der Rest des Scores wird überwiegend von dem Hauptthema dominiert. Dieses ist sehr düster und melodramatisch. Meist von düsteren Cellos interpretiert reflektiert es die Schuldgefühle, die Pierre plagen. Doch auch die romantischen Züge kommen in der Musik nicht zu kurz („Decision“). Da Pierre Zirkusartist war, finden einige Zirkusmärsche im Film Verwendung, die unter den Bonuscues enthalten sind. Abschließend lässt sich sagen, dass Miklós Rózsa eine dreiteilige Partitur erschaffen hat, die sehr unterschiedlich ist und in ihrer Abwechslung ihre Stärken hat. Sie ist in ihrer Gänze erhalten geblieben, dennoch ist die Klangqualität auch nicht mehr die Beste.

 

Dass es Playboys nicht erst seit Hugh Hefner gibt beweist das Leben des englischen Königs Henry VIII. Mit seinen sechs Frauen, die er teilweise hinrichten ließ, zeugte er drei Kinder: Mary, Elizabeth und Edward. Der 1953 erschienene Film Young Bess handelt von seiner zweiten Tochter und ihren jungen Jahren samt den unzähligen Intrigen am Königshof. Für Rózsa war es weder die erste Romanze noch der erste Mittelalterfilm, er fand sich also gut zurecht und komponierte eine themenreiche und abwechslungsreiche Filmmusik. Schon die Fanfare zu Beginn der „Prelude“ versetzt einen klanglich ins Mittelalter und dann bekommt man das englisch anmutende Thema für Bess sowie das zentrale Liebesthema zu hören, das von hohen Streichern dominiert und von lyrischen Kontrapunkten angereichert wird und vielseitig variiert wird (besonders prächtig in „Royal Tact“ oder herzzerreißend traurig in „Farewell“). Als weiteres dominantes Motiv ist das „Hatfield Thema“ zu nennen („Hatfield House“). Es ist von der Tonsprache her fröhlich und heiter und wird von Rózsa auch gerne mal in eine traurig-triste Melodie umorchestriert („Exit Anne Boleyn“). Als Henry VIII. schließlich stirbt und zu Grabe getragen wird, ertönt das Dies Irae als Bassostinato. Darüber schichtet Rózsa verschiedene Variationen, die komplex ineinander übergreifen und so ein dichtes Netz ergeben, das vom Klang her nicht trauriger sein könnte. Auch für den neu gekrönten König, Edward III. zauberte Rózsa ein Thema herbei: erstmals in „Prince Of Wales“ ertönt wird es in „The King’s Diaries / The King’s Finances / The King’s English“ herrlich ausgespielt. Dieser putzige Marsch überzeugt mit viel Charme und witzigen Fagott- und Flötensoli. Neben zusätzlichen Fanfaren sind es aber auch die Renaissance-Stücke, die den Hörer ins 16. Jahrhundert versetzen; dabei greift Rózsa sogar auf Melodien von Henry dem VIII. selbst zurück („King’s Ballad“). Als Bess am Ende zur Königin proklamiert wird, ertönt ihr Thema in feierlichem Gestus bereichert mit Fanfareneinwürfen. Das musikalische Finale ist das Sahnehäubchen eines ohnehin schon abwechslungsreichen, mit schönen Themen ausgestatten Scores. Zusätzlich zu den kompletten 62 Minuten der Partitur gibt es knapp eine Viertelstunde mit Source-Cues und alternativem Material.

 

1953 war eine weitere Sternenstunde für das noch in den Kinderschuhen steckende Kino. Der MGM-Film Knights Of The Round Table war nicht nur der erste Film, der im damals revolutionären CinemaScope-Breitwand-Verfahren gefilmt wurde, sondern überzeugte über dies hinaus durch hohe Schauspielkunst und vor allem durch die kraftvolle Partitur Miklós Rózsas. Jener musste die Partitur innerhalb von lediglich sechs Wochen komponieren, was für ihn einen immensen Kraftaufwand darstellte. Doch weil er schon für Ivanhoe im vorherigen Jahr mit mittelalterlicher englischer Musik vertraut war, gestaltete sich das Komponieren ein wenig einfacher. Das musikalische Resultat für die Verfilmung der Artus-Legende zählt zu einem der besten Werke des Ungar. Die gesamte Partitur ist durchweg themen- und variationsreich: ein Thema für den Ritter Artus, eins für seinen Kontrahenten Mordred, ein weiteres für Lancelot und ferner noch ein Thema für Parsifal. Das Sahnehäubchen sind schließlich zwei liebliche Liebesthemen, die dem Score um einiges facettenreicher gestalten. Doch Masse ist nicht gleich Klasse. Die Themen allein bilden nur das Fundament der Musik. Ausgiebige Variationen der Themen sowie musikalische Verknüpfungen sind nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite gibt es martialische Fanfaren und mittelalterliche Tanzmusik, die dem Film erst richtig Leben einhauchen. Die Actionpassagen bestätigen den positiven Eindruck der Musik um so deutlicher: die ausgiebig und vielseitig instrumentieren Schlachtsequenzen befinden sich stets auf höchstem musikalischen Niveau. Die Themen der Kontrahenten und Mitstreiter werden in so eindrucksvoller Art und Weise miteinander verknüpft, dass man die Schlacht auch ohne Bilder verfolgen kann („First Battle Part 1“ / „First Battle Part 2“ / „Pict Battle“). Der heroische Charakter der Heldenthemen kommt nicht nur in den großen Schlachtszenen zur Geltung, auch in kleinen Kampfszenen strotzen sie nur so vor purem Stolz („Lancelot and Arthur/Chivalry“). Die seichten Liebesthemen fungieren quasi als Gegenpol zu den bombastischen Abschnitten. Auch sie werden oft mit sanften Variationen der Heldenthemen kombiniert und so entstehen wunderschöne musikalische Momente. Die Musik in ihrer Gesamtheit ist schlichtweg atemberaubend und in ihrer Komplexität und Vielseitigkeit sicherlich einmalig. Interessanterweise musste die Musik für den Film zwei Mal aufgenommen werden: einmal in Culver City mit Musikern aus Hollywood und ein weiteres Mal in London mit Musikern englischer Herkunft (den Taktstock schwang Muir Mathieson). Grund dafür war, dass ein englisches Orchester die Musik einspielen musste, weil auch der Film ein englischer war. Für den endgültigen Film entschied man sich dann jedoch für die Einspielung aus den USA, unter der Leitung von Rózsa und John Green. Diese Aufnahme ist bereits von FSM veröffentlicht worden (Vol. 6, No. 7), doch weil man auch die britischen Mastertapes fand, entschloss man sich, diese mit in das Box-Set zu involvieren. Im Grunde genommen gibt es wenige gravierende Unterschiede (Tempo, Lautstärke, etc.). Dennoch ist die englische Aufnahme eine Bereicherung, zumal sie der energischen Partitur durchaus gerecht wird.

 

Mit Regisseur Richard Thorpe arbeitete Rózsa anno 1953 gleich zwei Mal zusammen. Nach Knights Of The Round Table folgte All The Brothers Were Valiant. Dieses Seefahrerabenteuer handelt von zwei Brüdern, sie sich zu allem Überdruss auch noch in die selbe Frau verliebt haben, sodass ihre Rivalität beinahe zur Feindschaft wird. Der musikalische Schwerpunkt liegt auf dem heroisch-optimistischen Hauptthema, das mit seinen ansteigenden Melodielinien und dem Wechsel von kräftigem Blech und hohen Streichen unverkennbar die Handschrift des gebürtigen Ungarn trägt. Besonders „nautisch“ erklingt es in „High Sea“, wenn die Harfenglissandi die tanzenden Wellen der See imitieren. Genau wie bei Moby Dick gibt es eine Waljagd, die Rózsa zu Höchstleistungen inspirierte: ein pulsierender Rhythmus, ein kontinuierlich stampfendes tiefes Blech, flirrend-flatternde Streicher und immer wieder ein kurzes Statement des Hauptthemas untermalen die Jagd nach dem großen Säugetier (tolles Wortspiel: „Whaliant Brothers“). Die Reise führt sie auf eine Insel wo sie die Bekanntschaft von Eingeborenen machen. Ohne die Musik zu sehr ins exotische abdriften zu lassen, bedient sich Rózsa einer pentatonischen Melodie, die oft sanft von Flöten interpretiert wird. Der knapp 14-minütige finale Track könnte symbolisch für die gesamte Partitur stehen. Es gibt düstere, bedrohliche Momente, furiose Actionmusik, ein bisschen Herzschmerz sowie feinste Themenarbeit. Rózsas Ausflug zur See ist ein prächtiger Score, der es in sich hat. Zusätzlich zum kompletten Score gibt es eine halbe Stunde mit Source-Musik sowie nachträglich veränderten Cues (für das Verändern waren Johnny Green sowie Conrad Salinger verantwortlich, während Rózsa seinen Urlaub in Europa verbrachte).

 

Roy Boulting, jener Regisseur, der 1968 Twisted Nerve (das überaus eingängige Thema von Bernard Herrmann kennt wohl jeder) drehte, teilte sich 14 Jahre zuvor den Regiestuhl mit seinem Zwillingsbruder Roy. Crest of Wave hieß das Kriegsdrama – dessen literarische Vorlage Seagulls Over Sorrento von Hugh Hastings lieferte –, welches das Studio MGM 1954 herausbrachte. Nebst Stars à la Gene Kelly und John Justin war ebenso Miklós Rózsa an dem Film beteiligt. Eigentlich hatte jedoch ein Deutscher, Hans May, die Musik komponiert. Eine knapp 6-minütige Suite ist das einzige, was von der vom Studio verworfenen Musik übrig bleibt: das Hauptthema ist ein bisschen blass und der übermäßige Gebrauch des Akkordeons erdrückt das Drama um die britische Marine geradezu mit musikalischen Klischees. Der Plot des Films ist recht simpel: amerikanische Marinewissenschaftler sollen ihren britischen Kollegen auf einer abgelegenen, einsamen schottischen Insel dabei helfen, einen neuen Torpedo zu entwickeln. Neben dem militärischen Aspekt sorgen die Differenzen und Abneigungen der beiden Landsleute für Spannung aber auch für Humor. Miklós Rózsas Musik bietet all das, was den Produzenten anscheinend an May Musik fehlte: ein heroisches, beeindruckendes Hauptthema, das mit dunklem Blech orchestriert ist. In feinster rózsaesquer Manier gibt es auch einige Nebenthemen sowie weitere Motive. Ein eher melancholisch veranlagtes Nebenthema sorgt mit seinen warmen Streichern und einfühlsamen Holzbläsersoli für Ausgeglichenheit. Denn in den Actionszenen lässt es Rózsa mit hektischen Streichern, heftig-pulsierenden Blechakzenten und vereinten Orchesterattacken richtig krachen („The Fight“). Einer ängstlichen Variation des martialischen Hauptthemas folgt im Cue „Trial / Disaster / Torna a Sorrento“ ein knackiges 5-Noten Motiv, das am Ende mit dem gloriosen Hauptthema kombiniert wird. Seinen ganzen militärischen Charme kann es jedoch erst im „Finale“ entfalten, denn nach dem erfolgreichen Torpedoabschuss gibt es Grund zum Feiern. Ein volles Orchester liefert ein triumphales Statement des imposanten musikalischen Leitgedankens. Ähnlich wie May verwandte auch Rózsa gelegentlich ein Akkordeon, um nautisches Flair entstehen zu lassen. Doch weil er es mit Holzbläsern und Streichern kombinierte ist der Kitschfaktor bei Weitem nicht so erschlagend. Erwähnung sollten auch noch die kurzen ironischen Holzbläsermomente finden, die die Anfeindungen zwischen den Soldaten contrakarieren („Discovery“). Langer Rede kurzer Sinn: ein feiner, kurzer, glücklicherweise in Gänze erhaltener Score.

 

Anno 1954 entschied sich MGM dazu, einen Spielfilm über den Modeschöpfer George Bryan “Beau” Brummell (1778–1840) zu machen, der seinerzeit englische Könige und Adelige mit prachtvollen Kostümen einkleidete und gegen den Trend der Zeit tägliche Hygiene propagierte. Nach einem Streit mit Prince George konnte er seine gesellschaftliche Stellung nur für kurze Zeit halten, bevor er dann nach Frankreich floh. Hier fand er auch seine letzte Ruhestädte. Das geschichtsträchtige farbige Spektakel vertonte damals Richard Addinsell. Dessen Musik wurde jedoch aus verschiedenen Gründen von MGM abgelehnt. Daher wandte man sich an Miklós Rózsa, der dem Film zumindest einen neuen „Main Title“ sowie ein „Finale“ geben sollte, da für das Komponieren eines komplett neuen Scores keine Zeit vorhanden war. Rózsa hatte in seinem Vertrag mit MGM stehen, dass kein Komponist seine Musik bearbeiten sollte, gleichzeitig sollte er dies auch nicht mit der Musik anderer Komponisten tun. Doch für Produzent Sam Zimbalist machte er eine Ausnahme, da sie zusammen schon an Quo Vadis gearbeitet hatten und später auch bei Ben Hur. Rózsa erwähnte diesen Umstand allerdings erst in seiner Autobiographie „A Double Life“ nachdem Addinsell verstorben war. Dessen abgelehnte Filmmusik, die sich über eine Dauer von knapp 30 Minuten erstreckt, erweist sich als „Zeitmaschine“, die einen ins späte 18. und frühe 19. Jahrhundert katapultiert. Mehrere hübsche Walzerthemen (z.B. „Pavillion Waltz“) stehen hierbei neben elegisch angehauchten Passagen („The King Is Dead“) und manch flotteren Momenten („The Hunt“). Rózsas Komposition hingegen spricht eine ganz andere Sprache: der „Main Title“ bietet einen kräftigen Einstieg und greift ganz bewusst keine musikalische Klischees auf. Die lange finale Szene unterlegt der gebürtige Ungar mit einem sehr melancholischen Gestus, in den er zwei Themen von Addinsell miteinarbeitet. Ein von Rózsa arrangiertes Rondo des Spaniers Luigi Boccherini ist das Einzige, was den historischen Kontext im Stile der Kammermusik markant unterstreicht. Im Endeffekt ist es Geschmackssache, welche Musik – Addinsells oder Rózsas – man vorzieht. Schön ist, dass man beide kompletten Scores zum Vergleich vorliegen hat.

 

Die erste FSM-CD mit Musik von Miklós Rózsa erschien vor acht Jahren: Lust for Life (1956). Dies war der Grundstein für eine Reihe von Veröffentlichungen die viele grandiose Musiken ans Tageslicht brachten. Auf CD 13 der Box finden sich einige weitere Tracks des Scores. Zudem wurden technische Fehler bei einigen Titeln behoben.

 

1957 brach Miklós Rózsa mit allen in Hollywood üblichen Traditionen : anstelle eines Orchesters, wie es damals üblich war, komponierte er eine fast ausschließlich vokale Filmmusik. Der Film Something Of Value greift die damalige aktuelle Problematik der Einheimischen in Afrika auf. Um dem Film also ein möglichst hohes Potenzial an musikalischer Authentizität zu verleihen, beschäftigte sich der gebürtige Ungar mit der Musik der Kikuyus. Als Rózsa noch ein Student in Leipzig war, hatte er Bekanntschaft mit dem Chorleiter der Thomaskirche gemacht. Aus dieser Freundschaft nahm Rózsa einiges an Wissen über chorale Musik mit. Natürlich war es nicht möglich, eine ganz authentische Musik zu komponieren; Rózsa erfand Wörter und schrieb quasi seine eigene Kikuyu Musik. Dennoch verfehlt die Musik nicht ihr Ziel, in den afrikanischen Kontinent zu entführen. Musikalisch ist die Musik sehr gut ausgearbeitet: es gibt ein sehr einprägsames Thema, das immer wieder aufgegriffen und variiert wird. Dabei wird sehr viel mit den Stimmen gearbeitet, der Frauenchor übernimmt die wehklagenden Trauerlieder („Lament #1“ / „Lament #2“ / Lament #3“ / „Lament #4“) wohingegen der Männerchor in den düsteren Passagen dominiert („Mau Mau #1 / Mau Mau #2 / Mau Mau #3“ / „Mau Mau #4“). Als überaus gelungen und schön darf man das Sololied „Lathela’s Chant“ bezeichnen, das mit einer warmen Melodie besticht. Interessant ist auch die a Cappella Variante einer Verfolgung, die allerdings nicht so furios ausfällt, wie man es hätte vermuten können: kräftige Männerstimmen summen zunächst unterschiedliche Melodiefragmente und steigern sich am Ende in einem Ostinato. Die wenigen orchestralen Stücke haben ebenfalls einen leichten afrikanischen Einschlag, wirken jedoch subtil und fremdartig-bedrohlich. Die Wärme und der Charme der Lieder kommt hier nicht rüber. Mit dieser außergewöhnlichen Komposition hat Dr. Rózsa eindrucksvoll bewiesen, dass er nicht nur ein Meister von großorchestralen Werken ist, sondern auch offen für ganz andere Vertonungsansätze ist.

 

1957 brachte MGM den Streifen Tip On A Dead Jockey in die Lichtspielhäuser; der Film handelt von einem ehemaligen US Air Force Pilot, der mit seinen traumatischen Erlebnissen des Korea Kriegs nicht fertig wird. Er verliert sich in einer Spirale von Glücksspiel und Sucht. Vollkommen bankrott nimmt er einen Job an, der ihn wieder ins Flugzeug bringt. Unwissend schmuggelt er Drogen aus Ägypten und lernt seine Liebe zum Fliegen so wieder aufs Neue kennen. Die Flugangst des Protagonisten inspirierte Rózsa zu einem Hauptthema, in dem die aufsteigenden Notenfolgen immer wieder abbrechen. Kräftiges, dunkles Blech liefert einen bedrohlichen Einstieg und die flatternden Streicher fangen die Furcht vorm Fliegen fantastisch ein. Besonders dramatisch wirkt es in „Crash“: bei dieser Darbietung des Themas verschärft Rózsa den Ton und es klingt durch die Dissonanzen noch um einiges schriller und ängstlicher. Natürlich ließ es Rózsa sich nicht nehmen, auch ein Liebesthema zu komponieren, das die brüchige, kurz vor dem Aus stehende Ehe mit hohen Streichern und warmen Hörnern widerspiegelt („Main Title“). Rózsa lässt es besonders kunstvoll als Fuge in „Phyllis Arrives“ erklingen. In den von Herzschmerz und Sehnsucht geprägten Szenen weiß der Ungar gekonnt das Orchester so emotional wie nur möglich einzusetzen. Neben diesen beiden zentralen Themen komponierte er noch ein paar Nebenthemen und Musik mit lokalen Einschlägen („Madrid / Good Riddance“). Der knapp halbstündige Score liegt hier vollständig in Mono vor. Zusätzlich gibt es noch etwas Source-Musik und einen alternativen Track.

 

In seinen jungen Jahren war es MGM anscheinend der Mühe nicht wert, sogenannte B-Movies mit einem eigenständigen Score auszustatten. Deshalb griff man auf die Musik anderer Komponisten zurück (u.a. André Previn, Bronislau Kaper). Die Stücke wurden adaptiert und dann mit dem MGM-Orchester neu eingespielt. Nach 1953 wurde diese Praxis dann endgültig abgeschafft. Auch Rózsas Musik wurde in mindestens drei Filmen verwendet. Der Titel „Dix’s Demise“ aus seinem Score zu The Asphalt Jungle wurde in gleich zwei Filmen verwendet: Desperate Search (1952) und Code Two (1953). Bei ersterem Film wurde der pulsierende, rhythmische Track in fünf ähnlichen Versionen verwendet. Eine Motorradverfolgung in Code Two wurde mit einem sehr interessanten Stück unterlegt: Rózsas „Dix’s Demise“ dient als Eröffnungspart wird aber dann von Roy Webbs Musik zum Film Cass Timberlane (1947) unterbrochen. Es folgenden weitere Exzerpte von Musiken der Komponisten Robert Franklyn und David Snell. Dieses Beispiel belegt, dass es sich nicht nur um simples Recycling gehandelt hat, sondern dass die Stücke kombiniert und neu strukturiert wurden. Für den Film Rogue’s March (1953) wurde erneut ein Track von Rózsa verwendet: „General’s Defeat“ aus dem Score zum Film Command Decision (1948). Command Decision war der erste Film, den Rózsa für MGM vertonte. Leider ist von den Aufnahmen dieses Scores nichts mehr erhältlich, und somit ist das neueingespielte Stück das einzige, was noch erhältlich ist. Doch leider verraten die 50 Sekunden nicht sonderlich viel über den Score.

 

Der König der Könige war ein weiterer Meilenstein im filmmusikalischen Schaffen Rózsas. Zwar hatte er schon Bibelepen vertont (z.B. Sodom And Gomorrah) und auch in Ben Hur sollte der Messias eine entscheidende Rolle spielen, doch dieser Film widmete sich ausschließlich dem Heiland. Die Musik passt mit ihrem religiösen und sakralen Klang zum Film wie die Faust aufs Auge. Gepaart mit den Einschlägen römischer Musik, mit der sich Rózsa schon 1951 (Quo Vadis?) beschäftigt hatte, entstand ein musikalischer Gaumenschmaus der höchsten Klasse. FSM veröffentlicht hier das Re-Recording des Soundtracks und Leitung von Rózsa für die LP-Veröffentlichung. Die komplette Musik ist 2002 schon von Rhino veröffentlicht worden; allerdings hat Rózsa für diese Einspielung einige Cues in der Struktur und teilweise auch in der Instrumentierung verändert. Allein schon die „Prelude“ ist atemberaubend, denn nach den pompösen ersten Takten gesellt sich ein gemischter Chor hinzu, der an Feierlichkeit, Erhabenheit nicht mehr zu überbieten ist. Das eingängige, gefühlvolle Thema trägt die Musik über die ganze Dauer der Partitur ohne dabei abgenutzt zu werden. Immer wieder bereichert der Komponist es um einige Facetten und macht es so enorm vielseitig. Ein weiteres Highlight ist der Titel „Christ’s Entry Into Jerusalem and Tempest in Judea“, der so verspielt und locker beginnt, dann aber eindeutig Rózsas Handschrift trägt wenn die Trompetenfanfaren hinzukommen und man die Melodie aus der „Prelude“ wiedererkennt. Ganz und gar bedrückend erklingt die Musik in „The Way of the Cross“: hier „schleppt“ sich das Orchester wortwörtlich von einer qualvollen Note zur nächsten. Insgesamt lässt sich sagen, dass das LP-Programm eine interessante und kompaktere Version des monumentalen Scores ist. Zusätzlich zum LP-Schnitt veröffentlicht FSM auch noch eine gute halbe Stunde alternativen Materials, das im Film keine Verwendung fand und auch bei der Rhino-Veröffentlichung nicht dabei war. Hauptsächlich handelt es sich um Titel mit zusätzlicher Chorverstärkung; diese verstärkt den sakralen Charakter der Musik zwar, wirkt aber auf die Dauer etwas überladen. Daher ist es nur nachvollziehbar, dass im Film die Aufnahmen ohne den Chor Verwendung fanden, um den Kitschfaktor nicht zu sehr in die Höhe zu treiben. Interessant ist auch ein Bonustrack, der einen Mitschnitt einer Probe darstellt, bei der Rózsa dem Trompeter genaue Anweisungen gibt.

 

Die Musik zu dem bildgewaltigen Leinwandepos El Cid aus dem Jahr 1961 markiert einen weiteren Höhepunkt im Schaffen Rózsas und wurde über dies hinaus mit einer Oscarnominierung versehen. Der Ritterfilm, dessen Handlung in Spanien angesiedelt ist, wurde mit einer unglaublich vielseitigen Partitur versehen, die – genauso wie das spanische Temperament – feurig lodert. Schon in der „Ouvertüre“ zeigt sich, wie viel der Score zu bieten hat: eine implementierende markante und helle Fanfare eröffnet den Track und mündet dann in eine flotte Sequenz, in der ein deutlicher Marschcharakter zum Vorschein tritt. Der nun vorgestellte musikalische Leitgedanke wird in der „Prelude“ weiter ausgeführt und ist durch und durch in spanischem Flair getränkt, das vor allem durch kleine Orchestrierungsdetails wie Schellenkranz oder viele kleine, gar orientalisch anmutende, Triller intensiviert wird. Am Ende wird es gar ein bisschen mittelalterlich, da die Instrumentierung auf ein Minimum reduziert wird: Englisch Horn und Gitarre (von einem sehr leisen Streicherteppich unterlegt) harmonieren in einer atemberaubenden schlichten Schönheit; in „The Twins“ spielen Oboe und Gitarre ein bewegendes Duett. Gerade die Gitarre lockert die sonst so militärische Atmosphäre der Komposition auf. Das gleiche tut auch das herzzerreißende Liebesthema, das auf einem herrlichen orchestralen Frage-Antwort-Spiel basiert. Richtig rózsaesque-romantisch wird es aber erst, wenn eine einsame Solo-Violine das Thema interpretiert („The Twins“ ab 0:50) und Harfenglissandi umso stärker auf die Tränendrüse drücken. Doch all das macht aus El Cid noch nicht das, wofür die Musik so beliebt ist. Die straff durchkomponierten, packenden und interessanten Actionpassagen bilden ebenfalls einen wichtigen Teil der gesamten Partitur. Hier zeigt der Ungar was er alles aus einem Orchester herausholen kann: „Fight For Calahorra“ beginnt mit pompösen Fanfaren, die über einem antreibenden Streicherapparat gelegt sind, und weiteren glorreich klingenden Variationen des Cid-Themas. Das aufbrausende Orchester steigert sich immer weiter, bis es schließlich in spirituellen majestätischen Akkorden mündet, wie man sie aus Ben Hur oder King of Kings kennt. Die Tonsprache der Musik wird dunkler, das tiefe Blech grummelt und auch der Streichermotor ruckelt ruppig, bevor dann alles in dissonanten Fanfaren mündet, die den Beginn des Kampfes ankündigen. Zweifelsohne darf man auch den „El Cid March“ als grandios und meisterlich bezeichnen, der nach einer triumphalen Fanfare energische Strukturen annimmt und mit vielen Verzierungen und seinem spanisch-mittelalterlichem Gestus auch noch 50 Jahre nach seiner Entstehung zu begeistern vermag. Gänzlich alle musikalischen Geschütze werden in „Battle of Valencia“ aufgefahren: die trampelnden Streicher und Blechbläser bieten ein düsteres Motiv dar bevor der Rhythmus noch intensiver wird und die Streicher samt aggressiver Blechdominanz die spanischen Reiter anpeitschen, zugleich treiben die offensiven harschen Orchesterattacken mit kampfeslustigem Schlagwerk das Tempo unaufhaltsam an und schließlich, auf dem Höhepunkt der Schlacht, werden die Themen der beiden Anführer hin und her geworfen, wobei das orientalische Thema für den Kontrahenten Rodrigos jedoch weitaus weniger Pathos besitzt und weitaus weniger Heroik ausstrahlt. Doch Rodrigo wurde schwer verletzt, sodass das Ende des Tracks schwerfällig und tragisch klingt. Als er schließlich auf dem Sterbebett liegt, kommt erneut das Liebesthema zur Geltung („The Cid’s Death“), wenngleich mit deutlich weniger Romantik und Kitsch. Den imposanten Epilog eröffnet eine eindrucksvolle Orgel; Rózsa verwendete die Orgel in der Regel um den sakralen Charakter Jesu Christi in Ben Hur oder King of Kings zu verdeutlichen. Zu guter Letzt ertönt das Liebesthema in seinem ganzen Glanz und seiner vollständigen Pracht. Die 45 Minuten wurden von Rózsa persönlich mit dem Graunke Sinfonie Orchester eingespielt und durch den Bombast schimmert immer noch eine gehörige Portion Transparenz und Dynamik durch. Das Einspielung der vollständigen Partitur mit den Prager Sinfonikern, die vor zwei Jahren vom Label Tadlow veröffentlicht wurde, ist in weiten Teilen doch zu bombastisch und die Orchestergewalt ist beinahe erschlagend. Daher ist diese Einspielung eine Bereicherung für jeden Rózsa-Liebhaber.

 

1963 – also nach fast 15 Jahren bei MGM – nahm Miklós Rózsa sein erstes „Best Of“-Album auf. Auf diesem Album, das hier im Rahmen dieser Box erstmals auf CD erscheint, finden sich „Konzertversionen“ verschiedener Filmmusiken, u.a. Sodom And Gomorrah, Quo Vadis?, Diane, Ben Hur und das Spellbound Concerto. Die Titel sind so angelegt, dass man sie perfekt als eigenständige Werke hören kann. Im Grund genommen ist dieses Album nicht wirklich essentiell, als kleine Bonuszugabe reicht es allemal. Eingefleischte Rózsa Fans würden sich doch dann eher die kompletten Musiken anhören als nur einen einzelnen Titel.

 

Nachdem Rózsas Vertrag mit MGM ausgelaufen war, kam es dennoch dazu, dass er erneut Filme für MGM vertonte, darunter auch The V.I.P.s im Jahre 1963. Der Film erzählt parallel mehrere Handlungsstränge, die sich alle am Londoner Flughafen Heathrow ereignen, da es zu Verspätungen kam. Während der eine versucht, seine Ehefrau wieder für sich zu gewinnen, muss ein anderer seine Firma retten, wieder ein anderer Charakter will Steuern hinterziehen. Da die Originalaufnahmen der Musik verloren sind, gibt es nur noch das Re-Recording unter Rózsa selbst, das 40 Minuten der Partitur darstellt. Mit einem pompösen und farbenfroh orchestrierten Hauptthema startet das Album und fährt mit einem weiteren schönen, lieblichen und eindeutig englischem Thema fort („The Duchess Of Brighton“). Das Hauptthema wird geschickt unterschiedlich verpackt und Rózsa kann ihm so über die gesamte Strecke der Partitur immer wieder neue Facetten abringen („The Letter“ / „Adorable Invitation“). Die Musik ist in ihrer Tonsprache eher düster-melancholisch gehalten und bietet dennoch nicht den tragisch-romantischen „Kitsch“ wie man ihn bei den Liebesgeschichten von Rózsa erwartet hätte.

 

6 Jahre nach seinem Ausscheiden bei MGM kehrte Dr. Rózsa erneut ans Filmset zurück. Er hatte sich in der Zwischenzeit überwiegend seinen Konzertwerken gewidmet und brachte nun viel Enthusiasmus mit sich für den Mysterie-Thriller The Power aus dem Jahre 1968. Das furiose und brachiale Hauptthema ist mit seinem wahnsinnigen Tempo und seiner schieren Gewalt einzigartig in seinem Oeuvre. Die Melodie spinnt sich immer weiter fort und ihr manisch-panischer Klang ist durchweg furchteinflößend. Unterbrochen von kurzen Fanfarenstößen und bereichert mit dem gruseligen Klang eines Cimbaloms. Das „Gypsy Theme“ wird in den meisten Fällen von diesem ursprünglich aus dem Irak stammenden Instrument interpretiert („First Manifestation/Hallson Dies“). Besonders wahnwitzig wird die Musik in „Death in the Centrifuge“ : die Musik steigert sich ins schier Unermessliche, die Streicher hämmern ununterbrochen, angetrieben vom gruseligen Cimbalom, übertönt von einer oktatonischen Trompetenmelodie, verstärkt durch die pulsierenden Xylophone und in dissonanter Harmonik getränkt. Genauso abgefahren ist „Merry-Go-Round“, bei dem Rózsa einen Walzer imitiert und flatternde Trompeten und wild um sich schlagende Percussions über die Walzerrhythmik schichtet. Ähnlich furios ist der hörenswerte Titel „Attack“. Herausragend sind auch die Stücke, die einen folkloristischen Einschlag haben: „Viva l’Amour“ betört mit seinen zwei spanisch angehauchten Gitarren und in „Hellgató“ sowie „The Power Csárdás“ bekommt man von einem Trio bestehend aus Violine, Cello und Cimbalom ungarisch angehauchte Melodien zu hören. Mit dieser Partitur kündete sich Rózsa wieder mit voller Kraft in der Filmmusikwelt an und seine Musik überzeugt durchweg. FSM veröffentlichte 2005 erstmals den damals angedachten LP-Mitschnitt der Musik, der aber nie richtig veröffentlicht wurde (MGM lehnte damals ab und zwei mal wurde er ohne entsprechende Autorisierung in den Handel gebracht). Kurz vor dem Fertigstellen der Box fand man dann doch die kompletten Aufzeichnungen und Lukas Kendall entschloss sich dazu, diesen einzigartigen Score mit in das Set zu involvieren. Zusätzlich gibt es noch Source-Musik, darunter auch ein Arrangement des „Gypsie Themas“, bei der eine zarte Solovioline die Melodie interpretiert.

 

Natürlich stellt sich die Frage nach der Sinnhaftigkeit einer solchen Box: bis man die 14 CDs alle durchgehört hat, vergeht einiges an Zeit. Auch das Lesen der unglaublich ausführlichen Liner Notes ist recht zeitintensiv. Doch gerade bei den Scores, die Sound Effects beinhalten, muss man das Ganze kritisch hinterfragen. Beim bloßen Hören sind die Geräusche schlichtweg irritierend. Wenngleich einige Geräusche weniger stören als andere, es ist einfach nicht mehr die Musik in ihrer reinen, klaren Form. Dabei sollte man allerdings nicht vergessen, dass dies – abgesehen von einer Neueinspielung – die einzig verbliebene Möglichkeit ist, die Musik zu Ohren zu bekommen. Auch dürfte die doch recht beträchtliche Anzahl an Bonus-Cues irritieren. Bei den meisten Scores gibt es zusätzliche Stücke, die entweder nachträglich vom Komponisten verändert werden mussten (Alternates), die ganz aus dem Film gestrichen wurden (unused cues) oder Stücke, die vor dem Film komponiert wurden und am Set abgespielt wurden (Pre-Recordings). Die Fülle dieser Stücke ist überraschend, allerdings ist sie nur für eingefleischte Rózsa-Fans, die jede Note des begnadeten Ungarn aufsaugen wollen, wirklich von bedeutendem Interesse.

 

Doch auch für nicht ganz so „fanatische“ Rózsa-Fans gilt, dass dieses Set definitiv ein Pflichtkauf ist (Einsteigern sei der Varèse-Sampler an Herz gelegt!), wenngleich einige Partituren sicherlich schon erhältlich waren, aber nun Raritäten sind (z.B. die LP-Neueinspielung von El Cid). Zudem ist die Klangqualität im Vergleich zu den Ticker-Tape Veröffentlichungen besser. Die Box ist über dies hinaus mit exzessiv-ausführlichen Liner Notes ausgestattet, die aus Kostengründen online zu finden sind. Das fast 100 DIN A4 Seiten lange Dokument geht ausführlich auf jeden Film, seine Produktion und – in gewohnter FSM-Manier – mit einer Track-by-Track Analyse auf die Musik ein. Stellenweise sind sogar Notenbeispiele vorhanden, die einen noch tieferen Einblick in die Komplexität von Rózsas Musik gewährleisten. Ein gedrucktes Booklet gibt es trotzdem, wenngleich es nur Tracklisten und Bilder enthält. Der Preis von $180 ist mehr als gerechtfertigt (im Durchschnitt kostet eine CD knapp 13$). Vom Design her passt sich die Box den anderen von FSM veröffentlichten Box-Sets an. Ein dunkelgrüner, mit goldener Schrift bedruckter, stabiler Schuber bietet Platz für die CDs.

 

Schon auf den ersten, spätestens aber auf den zweiten Blick deutlich wird, wie viel Arbeit, Herzblut und Liebe zum Detail in dieser Veröffentlichung steckt. Laut Variety waren auch schon nach kurzer Zeit mehr als die Hälfte der 2000 Exemplare verkauft. Wer sich die Zeit nimmt, um sich intensiv mit Miklós Rózsa zu beschäftigen, der wird mit vielen schönen Melodien belohnt, die einen zu den unterschiedlichen Orten und Epochen entführen.

 

Ludwig Hollmann, 27. 11. 2011