Filmmusik ein Geschäft wie jedes andere

Diese Seite durchsuchen:

Filmmusik: ein Geschäft wie jedes andere?

Ein Einblick in die Welt der Filmmusiklabels und -distributoren.

Eine Reportage von Ludwig Hollmann

1996 griffen in Roland Emmerichs Science-Fiction Blockbuster Independence Day Heerscharen von Aliens unseren Planeten an; nur eine kleine Gruppe von mutigen Helden stellte sich ihnen entgegen und infizierte deren Mutterschiff am Ende mit einem Virus, der die Computersysteme erlahmte. Am 20. April 2010 brach das Computersystem des kleinen amerikanischen Filmmusiklabels „La-La Land Records“ fast zusammen, als ca. 500 Kunden weltweit gleichzeitig versuchten, eine von 100 vom Komponisten persönlich signierten Ausgaben der kompletten Filmmusik zu Independence Day zu ergattern. Zeitgleich zum Kinostart war zwar eine CD mit gut einer Stunde Musik veröffentlicht worden, doch das Label hatte sich die Mühe gemacht, die komplette Musik aufzutreiben und entsprechend zu veröffentlichen. Matt Verboys, Vize-Präsident des kleinen Labels, schätzt, dass es weltweit etwa 15.000 Menschen gibt, die mehr oder weniger regelmäßig Filmmusik-CDs kaufen. Ausnahmen, wie die 28 Millionen verkauften Exemplare der Titanic-Filmmusik, bestätigen die Regel.

 

 

In dieser recht kleinen Nische tummeln sich gleich eine Hand voll kleiner Label, die in akribischer Feinarbeit Filmmusik veröffentlichen und damit ihr täglich Brot verdienen. Zu den wichtigsten zählen neben dem Branchen-Primus „Varèse Sarabande“ die in Kalifornien angesiedelten Label „La-La Land Records“, „FilmScoreMonthly“ (kurz: FSM) und „Intrada“. Bei ihrer Suche nach der nächsten – in der Regel limitierten Veröffentlichung – gehen alle nach demselben Schema vor. Der Gründer von „FilmScoreMonthly“, Lukas Kendall, beschreibt den ersten Schritt des Auswahlverfahrens: „Man hat eine ungefähre Vorstellung davon, was in den Archiven der Filmstudios lagert.“ Douglass Fake, Gründer und Präsident von „Intrada“ fügt hinzu: „Man schaut auch immer, wo die Interessen der Kunden liegen und was man an Material von den Filmstudios bekommen kann.“ Auch wenn es eine Möglichkeiten gibt, die Klangqualität von älteren Veröffentlichungen zu verbessern, lohnt sich eine Neuauflage. „Besonders gern wird es aber von Kunden gesehen, wenn eine Filmmusik komplett veröffentlicht wird und dabei bis dato ungehörtes Material zu Tage gefördert wird.“ ergänzt Verboys von La-La-Land. Zwischen der Entscheidung eines Labels eine Veröffentlichung anzugehen und der tatsächlichen Veröffentlichungen können Wochen, Monate und sogar Jahre vergehen. „Es kann lange dauern, bis man verschiedene Lizenzen für die Musik, einzelne Songs oder Bilder erworben hat.“ berichtet Fake. Auch könne es eine regelrechte „Schatzsuche“ sein, bis man die Master Tapes, die Originalbänder einer Aufzeichnung, der entsprechenden Filmmusik gefunden hat. Mit Hilfe von moderner Technik wird die Musik dann schließlich digitalisiert, die Klangqualität wird verbessert und zudem wird ein Booklet verfasst, das in der Regel mit vielen Informationen zu Film und Musik gefüllt ist. Die Produktionskosten einer CD können stark variieren: „Die Herstellungskosten sind bekannt, für die reine Produktion einer CD zahlt man 1 $. Doch die übrigen Kosten können stark schwanken.“ gibt Verboys zu Bedenken. Genaue Zahlen darf er allerdings nicht verraten. Die Kosten für Lizenzen können sich auf bis zu 18% des Verkaufspreises einer CD (i.d.R. 20 $) belaufen. „Gerade bei älteren Filmmusiken sind die Kosten für die Wiederaufbereitung deutlich höher“ bestätigt Kendall, dessen Label besonders viele Musiken aus den 50er und 60er Jahren veröffentlicht hat.

 

 

Die meisten CDs sind in ihrer Auflage streng limitiert. Von den vier Unternehmen sind Varèese Sarabande und La-La Land die einzigen, die auch zu aktuellen Filmen Musik veröffentlichen, die dann nicht limitiert sind. „Bei Veröffentlichungen zeitnah zum Kinostart eines Films liegen die Erstauflagen zwischen 1500 und 5000 Exemplaren. Bei anhaltender Nachfrage produzieren wir selbstverständlich nach, manchmal sogar bis zu 15.000 Exemplare.“ verrät Verboys. FSM und Intrada haben sich fast ausschließlich auf limitierte CD-Veröffentlichungen spezialisiert. Die Limitierungen gibt es aus verschiedenen Gründen: einerseits, weil nur ein kleiner Kundenkreis vorhanden ist, und andererseits, weil diese vom Limited-Edition Historical Soundtrack Agreement (LEHSA) der American Federation of Musicians vorgeschrieben werden. Je nach geschätzter Nachfrage schwanken die Stückzahlen zwischen 1000 und 3000 Exemplare. Gelegentlich erhöht man die Auflage auf 5000 Stück. Die Label verkaufen einen Teil der CDs selbst an ihre Kunden. Verboys rechnet im Durchschnitt mit 15 $ pro verkaufter CD. „Das sind bei einer auf 3000 Stück limitierten Auflage 45.000 $ Einnahmen. Was an Gewinn davon übrig bleibt, ist immer unterschiedlich, da es von den Ausgaben abhängt. Und nicht jede limitierte Auflage ist nach ein paar Wochen ausverkauft. Manchmal kann es Jahre dauern, bis sich eine CD dem Ausverkauf nähert.“

 

 

Gerade in den letzten Jahren konnten sich die Fans über immer mehr Veröffentlichungen freuen. Grund dafür war zum Teil die „American Federation Of Musicians“, die eine Gewerkschaft für Musiker ist. Die zu zahlendenden „re-use fees“ sollen die Orchestermusiker sozusagen für die Wiederverwendung von Musik für ein anderes Medium entlohnen. Das schon erwähnte Limited-Edition Historical Soundtrack Agreement der American Federation of Musicians (AFM) trat Mitte der 90er Jahre in Kraft und limitierte die Veröffentlichungen von Musiken, die unter deren Zuständigkeit aufgenommen worden waren. „Auf Nachfrage der Label haben wir diese Grenze aufgelockert, da unglaublich bekannte Titel wie Back To The Future, Star Trek II – The Wrath Of Khan oder Twilight Zone: The Movie veröffentlicht werden sollten.“, berichtet Andie Childs von der AFM. Pro CD müssen – je nach Alter der Aufnahme – zwischen 0,75 $ und 2,00 $ bezahlt werden. Die so entstehenden Kosten für die ersten 1000 Exemplare müssten sofort beglichen werden, bei höheren Stückzahlen könne der Rest später bezahlt werden. Innerhalb der AFM habe man überlegt, ob man die Kosten senken solle. „Da der Verkaufspreis einer CD immer noch bei durchschnittlich 20 $ liegt, haben wir uns dagegen entschieden.“, verrät Childs.

 

 

Die drei Label leben auf unterschiedlich großem Fuß. Intrada ist das älteste und wurde 1985 gegründet. Mit seinen fünf Mitarbeitern produzieren sie im Jahr ungefähr 50 CDs. Lukas Kendall arbeitet alleine und beschäftigt temporär mehrere Freiberufler. Er bringt es jährlich auf 20–30 CD-Veröffentlichungen. Das jüngste Label unter den dreien ist La-La Land, das von einem Duo geleitet wird, welches im Durchschnitt 40 CDs pro Jahr veröffentlicht.. Wirtschaftlich geht es allen gleich: „Man verdient gerade genug, um zu überleben.“, bemerkt Fake. Matt Verboys von La-La Land fügt hinzu, dass man mit dieser Arbeit keine Reichtümer scheffeln kann, man aber dennoch sein Hobby zum Beruf gemacht habe. „Die Konkurrenz ist hart und zugleich sichert die begrenzte Größe des Kundenkreises die eigene Existenz.“, fügt er hinzu. Kendall hat sich 2005 mit dem Großhändler „ScreenArchivesEntertainment“ zusammengeschlossen, der den Vertrieb der CDs übernimmt. Beide stecken nun gemeinsam Geld in neue Projekte und teilen die Gewinne untereinander auf.

 

 

Genau dieser im US-Bundesstaat Virginia angesiedelte Großhändler ist auch dafür zuständig, dass ein Großteil der Filmmusikfans ihre CDs erhalten. Craig Spaulding gründete den Vertrieb im Jahre 1975, damals wurden noch Vinylplatten versandt. Nun verschicken sie jährlich etwa 230.000 CDs. „Die meisten Kunden bestellen gleich mehrere CDs gleichzeitig, sodass wir im Jahr ungefähr 65.000 Bestellungen zu bearbeiten haben.“ In zwei Lagerhallen mit jeweils knapp 200 m² lagern Tausende von CDs, denn von jeder limitierten Auflage der gängigen Labels bekommt SAE mindestens die Hälfte ab. Spaulding hat vier fest angestellte Mitarbeiter, zwei Teilzeitmitarbeiter werden dann gerufen, wenn ihnen das Wasser bis zum Hals steht. Dies ist gerade dann der Fall, wenn mehrere Label gleichzeitig eine Reihe von CDs veröffentlichen. „Gut die Hälfte der Bestellungen landen in Amerika, der Rest in Europa und Asien. Doch gerade die Kunden in Übersee werden kaufkräftiger, da der US-Dollar von Zeit zu Zeit sehr schwach ist.“ Laut Spaulding macht er mit jeder verkauften CD ungefähr 20 % Gewinn. Über das ganze Jahr macht er also ca. 230.000 Gewinn. „Die Tendenz neigt jedoch zu marginal geringeren Verkaufszahlen.“

 

 

In Anbetracht der steigenden Zahl von Musikdownloads erweisen sich die Label als konservativ. „Wir werden CDs produzieren, solange es einen Markt für sie gibt. Eines Tages werden die Downloads vielleicht Überhand nehmen, aber hoffentlich nicht allzu bald.“ prognostiziert Fake. (25. 2. 2011)